Good, better, Sywell

von Eric Böhnisch-Volkmann

Mit 300 Watt kann man schon eine Menge anfangen — beispielsweise das Haus beleuchten oder eine Kaffeemaschine betreiben. Eher unüblich ist es, mit 300 Watt Muskelleistung ein Flugzeug in die Luft zu bringen und mehrere Minuten damit zu fliegen. Genau das haben die Human Powered Aircraft-Flyers in Northampton/Sywell jeden Abend eine Woche lang bei bestem Wetter getan. Und am gleichen Platz, bei dem gleichen sagenhaften und für England wohl eher untypischen konstant guten Wetter waren auch die sechs UL-Piloten des LSV Hohenasperg für eine Woche stationiert. Diese vertrauten allerdings auf die jeweils 100 PS ihrer zwei Flight Design CTs und einer Bristell — der Respekt für die Leistungen der Muskelflieger war umso größer.

Um nach Sywell (EGBK) zu kommen muss man über den Kanal. Calais-Dunkerque (LFAC) war der Abflugplatz, der nach Passkontrolle und Auftanken den kurzen Hüpfer über den Ärmelkanal ermöglichte. Kaum in der Luft und über dem Wasser kam sie schon in beste Sicht, die englische Küste mit den bekannten Kreidefelsen von Dover. Eine starke Stunde später schwebten wir bereits in Sywell ein, ein typischer Platz auf der Insel: ein enorm großes Grasfeld mit einer langen Asphaltbahn und zwei weiteren  Graspisten, die zusammengenommen immer wie ein großes „A“ aussehen. Das Hotel am Platz, Sywell Aviator, bot während der Woche ausgezeichneten Komfort im Jugendstil-Ambiente, die Tankstelle hatte Mogas bereit, gelandet werden durfte auch spät nach Betriebsschluss und am Abreisetag wurde jedem Team nur eine Landung in Rechnung gestellt — British Hospitality.

Gleich nach dem Ankunftstag morgens keine Wolke, klare Luft, weite Sicht: die Chance musste genutzt werden, das vermutete Highlight der Woche einer alten Fliegerregel entsprechend sicherheitshalber sofort in Angriff zu nehmen. Wer weiß, ob das Wetter so bleibt. Cornwall und seine Steilküste mit dem westlichsten Punkt Englands, Lands End, stand auf der Liste. Über Oxford ging es südlich an Bristol vorbei zum Meer und dann südlich entlang der Atlantikküste.

Welch ein Bild bot sich beim Flug über dem Wasser mit Blick auf die steil abfallende, rauhe und zerklüftete Küstenlinie. Blaues Wasser, teils ins türkisgrüne changierend, helle, fast weiße Stände, auf der Ebene über dem Abbruch bis zum Horizont weite Getreidefelder, sonnig beschienen. Kurven um Küstenvorsprünge, fliegen um Leuchttürme und landen direkt da, wo die Piste über dem Steilabfall endet: Parranporth (EGTP), flying at its best. Und, by the way, in Cornwall wurden wichtige technische Errungenschaften hervorgebracht, ohne die nicht nur Piloten heute Probleme hätten. Dem Radiopionier Marconi gelang im Dezember 1901 von hier die erste transatlantische Funkübertragung nach Neufundland. Cornwall war durch seine exponierte Lage für seine Versuche besonders geeignet. Ein kurzes Mittagessen aus Fish & Chips, und weiter ging es Richtung Lands End und dann an der Südküste über dem Ärmelkanal auf Plymouth zu. Die fast fünf Flugstunden vergingen, wie sollte es auch anders sein, wie im Fluge. Die größte Sorge nach der Ankunft in Sywell war, dass nun nichts mehr kommen kann. Das Beste schien gesehen.

Weit gefehlt. Duxford (EGSU), bekannt durch die Airshow und das Imperial War Museum, war ein weiterer interessanter Tagesauflug, den die Gruppe unternahm. Das weitläufige Museum liegt mit mehreren Ausstellungshallen und einem Freibereich direkt neben den Pisten. Angesichts der Anzahl, der Exklusivität und des Erhaltungszustandes der Exponate können andere Technikmuseen hier kaum das Wasser reichen. Manche Museumsstücke werden auch für Rundflüge angeboten und so konnte ein Gruppenmitglied nicht widerstehen, eine halbe Stunde auf einer De Havilland Tiger Moth aus dem Jahre 1944 zu buchen, einem Oldtimer-Doppeldecker, der von der britischen Royal Air Force vor allem als Schulungsflugzeug eingesetzt war.

Gleichermaßen besuchten unsere UL-Piloten York, Brighton und Bath, bekannt durch die antiken römischen Bäder. Es gibt überall Landemöglichkeiten, und wenn mal ein größerer Platz nicht verfügbar ist, sind es die vielen sympathischen Farmstrips, die zum Aufsetzen einladen.

Bei weiterhin gutem Wetter sollte auch der Norden Englands in Augenschein genommen werden. Nördlich von Wales ging es bei einem weiteren Trip zwischen Manchester und Liverpool in der Manchester-Low-Level-Route in 1200 Fuß zwischen den beiden Kontrollzonen hindurch nach Norden an die Küste bei Blackpool, dann über die Morecambe Bay in den Lake District mit den Cumbrian Mountains. Der Flug über den größten Nationalpark Englands machte klar, woher der Name kommt — es sollen über eintausend Seen und Teiche sein, die in die karge, um die eintausend Meter hoch gelegene Berglandschaft eingebettet sind.

Nördlich des Lake Districts, kurz vor Carlisle an der schottischen Grenze, stand die Landung auf dem Microlight Airfield Kirkbride an. Es dürfte das größte UL-Gelände sein, das je gesehen wurde. 1280 ⨉ 46 Meter Asphalt. Ob dieser Kuriosität kamen wir am Platz in eine nette Kommunikation, die in eine Empfehlung und einen, nicht ganz ernst gemeinten, Wettbewerb mündete: Der Farmstrip Fishburn sei sehr empfehlenswert und wenn wir zuerst da seien, würden wir zum Essen eingeladen, so zwei Piloten eines respektablen großen Flugzeuges, die dort hinfliegen wollten. Selten wurde die Leistungsfähigkeit unserer CT mehr unterschätzt; wir waren nach rund 30 Minuten Flug über die Pennines, der auch als Rückgrat Englands bezeichneten Gebirgskette, erste. Entscheidend aber der Farmstrip selbst: Die Piste ist auf 790 Meter perfekter englischer Rasen, akkurat gemäht, weich und saftig grün, dazu ein exquisites Kaffee und eine daneben stehende ausgemusterte De Havilland Mosquito mit deutscher Registrierung und Hoheitsabzeichen.

Um wieder nach Sywell zu kommen mussten wir die sympathisch–spleenige Atmosphäre verlassen und an der Ostküste Englands nach Süden fliegen, vorbei an Kingston upon Hull und Scarborough. Wieder flogen wir über einer Steilküstenlandschaft aus Kreidefelsen, geologisch den gleichen wie an der Küste von Dover, nach Skagness, einem weiteren Farmstrip nördlich der Bucht The Wash. Zu Fuß war ein Abstecher ans Meer angesagt und dann der Rückflug nach Sywell, zugleich der letzte Flug vor der Rückreise.

Le Touquet (LFAT) sollte diesmal der Landeplatz auf dem Festland sein, von dort ging es zurück an unseren Heimatplatz nach Pattonville (EDTQ). Diesmal hat geklappt, was der UL-Gruppe des LSV Hohenasperg letztes Jahr aufgrund des Wetters noch nicht vergönnt war: England fliegerisch kennen lernen, interessante Landschaften aus neuer Perspektive sehen und die Kultur der Insel erleben. Großbritannien hat sich für ein weiteres Fluglager empfohlen.

Text und Fotos: Hans-Jürgen Reichardt

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